Am 13.9. diskutierte ich als Vertreterin des Klimavolksbegehrens beim ONE DAY Meetup mit Verena Mischitz und Dr. Simone Gingrich über die Frage, ob Aktivismus das System wirklich verändern kann: „Was ist dieses System und warum lehnen sich Menschen dagegen auf? Falls es möglich ist, wie?“ 

Ich habe viel recherchiert, um mich auf die Diskussion vorzubereiten, und möchte hier Einblicke in meine Erkenntnisse geben. Dass dieser Artikel erst jetzt veröffentlicht wird, hängt damit zusammen, dass ich seit über einem Monat für klimaaktiv arbeite und leider eigentlich kaum mehr Zeit für Blogartikel habe. 

Was ist Aktivismus?  

Diese Frage lässt sich in zweifacher Hinsicht beantworten. Einerseits kann ich erklären, was AktivistInnen tun: Sie weisen auf ein Problem hin und gehen dafür auf die Straße. 

Aktivist:innen fordern rasches Handeln von der Politik. Copyright Fridays4Future Vienna

Andererseits kann ich analysieren, wie Aktivismus bei uns in der Gesellschaft gesehen wird. Hier lässt sich erkennen, dass der Begriff nicht selten negativ konnotiert ist. Oft wird Aktivismus nämlich mit Alarmismus in Zusammenhang gebracht, also einer unnötigen und übertriebenen Warnung vor Problemen. So werden AktivistInnen zum Beispiel fälschlich dafür kritisiert, dass sie die Welt verzerrt und zu negativ wahrnehmen und daher unverhältnismäßig auf ein gewisses Thema – in unserem Fall die Klimakrise – reagieren. Um von ihren Anliegen abzulenken, werden sie immer wieder als WeltuntergangsprophetInnen, Ideologen und Besserwisser belächelt bzw. wird ihnen die Fähigkeit, eigenständig und kritisch zu denken, aberkannt. 

In Bezug auf Klima-Aktivismus sind solche Vorwürfe natürlich sehr problematisch, da die Klimabewegung eindeutig die Wissenschaft auf ihrer Seite hat. Die Fakten sind alarmierend, das ist klar, und gerade deshalb ist das Engagement der vielen Menschen in der Klimabewegung gerechtfertigt und nicht alarmistisch. Wenn Klima-AktivistInnen wenig Offenheit für einige von der Politik vorgeschlagene Klimaschutzmaßnahmen zeigen, dann daher, weil diese zu kurz greifen. Gleichzeitig zeigen einige PolitikerInnen auch mangelndes Interesse an wissenschaftlich empfohlenen Lösungen und berufen sich auf technologischen Fortschritt als vermeintlich ausreichende Lösung für Klimaprobleme, statt andere wissenschaftlich empfohlene Lösungen anzuvisieren.

Ist es Aktivismus, sich für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einzusetzen?  

Ganz egal, ob man es Aktivismus nennt oder nicht – es ist das, was alle Menschen nach bestem Ermessen tun sollten. Das Gegenteil von Klimaschutz ist ja nicht, dass alles beim Alten bleibt. Wenn wir das Klima nicht schützen, nehmen wir in Kauf, dass klimabedingte Extremwetterereignisse unser Leben und unsere Gesundheit gefährden, unsere Landschaften, Häuser und Straßen zerstören, das Wirtschaftsleben massiv beeinträchtigen, die Wasser- und Nahrungsmittelversorgung bedrohen, große Flüchtlingswellen auslösen und uns auch unsere kulturelle Identität wegnehmen (ich denke, es schmerzt viele Menschen, wenn sich die Landschaften und Orte ihrer Kindheit spürbar verändern und Traditionen rund um die Jahreszeiten verloren gehen). Warum würden wir all das in Kauf nehmen? 

Es ist auch wichtig, dass jetzt gehandelt wird: Das CO2-Budget, das uns noch übrig bleibt, damit sich unser Klima nicht in gefährlichem Maße aufheizt und vollkommen destabilisiert, wird rasant kleiner. Wir sollten also sofort beginnen, unser Wirtschafts-, Energie- und Verkehrssystem umzubauen, damit dieses Budget nicht überschritten wird und wir unseren Kindern und Enkelkindern einen kaputten Planeten hinterlassen. Je mehr Menschen sich aktiv für Klimaschutz einsetzen und Druck auf EntscheidungsträgerInnen ausüben, desto besser. 

Die Emissionen müssen drastisch gesenkt werden. Copyright https://carbonbudgetcalculator.com/

Eine große Verantwortung kommt hier dem Journalismus zu, da die Klimakrise und vor allem Klimahandeln und Klimaschutz breitenwirksam kommuniziert werden müssen. Allerdings müssen sich auch JournalistInnen, die eben dies tun, nicht selten die Kritik des Aktivismus gefallen lassen. Wie bereits erwähnt, ist diese Kritik haltlos. Sie kann aber noch zusätzlich entkräftet werden, indem man aufzeigt, dass es gar nicht möglich ist, rein objektiven Journalismus zu betreiben. Jeder noch so trockene und faktenbasierte Artikel beruht auf subjektiven Entscheidungen der RedakteurInnen und JournalistInnen: So müssen diese sich zum Beispiel fragen, ob sie über ein Thema berichten oder nicht, und wenn ja, welche Stellung der Artikel in der Zeitung bekommt, wie sie das Thema eingrenzen und framen, und welche Worte sie verwenden (ein Beispiel: spricht man von “Schulden” oder “Investitionen”?). Mit ihrer Arbeit beeinflussen JournalistInnen daher maßgeblich, wie wir die Welt sehen und welche gesellschaftlichen Themen wir als wichtig erachten. In Bezug auf die Klimakrise heißt das: Medien, die nicht über die Klimakrise und Klimaschutz-Initiativen berichten, kommunizieren ihren LeserInnen damit, dass diese Themen nicht wichtig sind. Man kann nicht nicht kommunizieren, und alle JournalistInnen sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein.

Wenn man nicht dafür ist, ist man dagegen?

Auch wenn wir wirklich viele mutige KlimaheldInnen brauchen, damit die Wende zur Nachhaltigkeit gelingen kann, halte ich die Aussage, dass es keine neutralen Positionen in der Klimakrise gibt, kommunikationstechnisch für problematisch. Mit diesem Standpunkt werfe ich Menschen, die noch nicht für Klimaschutz aktiv geworden sind, vor, diesen aktiv zu verhindern. Mit anderen Worten: Wenn man nicht dafür ist, ist man automatisch dagegen. Faktisch ist es natürlich richtig, dass der Status quo uns in die Katastrophe stürzt. Es ist auch wichtig, Nichthandeln, Greenwashing und Aufschiebetaktiken in der Politik und bei mächtigen Konzernen aufzuzeigen und Akteure in die Verantwortung zu nehmen. Wenn ich aber Menschen motivieren möchte, sich für Klimaschutz einzusetzen, sollte mir bewusst sein, dass Vorwürfe Menschen selten dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern. Auch George Marshall, der Gründer von Climate Outreach, warnt davor, in der Klimakommunikation das Trennende über das Gemeinsame zu stellen und Narrative zu wählen, die die Gesellschaft spalten. Einen gesellschaftlichen Konsens für Klimaschutz erreichen wir nur dann, wenn wir Polarisierung überwinden können.

Was ist das System? Wo krankt es? 

Das System besteht aus den strukturellen Rahmenbedingungen, die unser Handeln beeinflussen und maßgeblich prägen. Dazu gehören Gesetze, Regelungen und Standards, soziale Normen sowie die vorhandene oder fehlende Infrastruktur. 

Leider fördert unser derzeitiges System vor allem klimaschädigendes Handeln, laut Dr. Simone Gingrich “krankt es an allen Ecken und Enden”. So besteht im Moment keine Kostenwahrheit in Bezug auf Klimaschutz, das heißt, dass die Kosten und Schäden, die durch die Verschmutzung unserer Atmosphäre entstehen, nicht von den Verursachern getragen werden. Außerdem ist klimaschädigendes oft billiger als klimafreundliches Verhalten ist, weil es staatlich subventioniert wird (z.B. Pendlerpauschale, Dieselprivileg, Steuerbefreiung von Kerosin, staatliche Investitionen in fossile Energien). Die Kosten der Klimakrise werden gerne auf die Allgemeinheit abgeschoben, während Gewinne nicht immer der Allgemeinheit zu Gute kommen.

Auch in Bezug auf die öffentliche Infrastruktur gibt es eine ordentliche Schieflage, die es Menschen schwierig macht, nachhaltig zu agieren. So wird zum Beispiel der motorisierte Individualverkehr in der Städte- und Raumplanung deutlich bevorzugt. Das zeigt sich in Wien, wo zwei Drittel der Verkehrsfläche (27 500 000 asphaltierte Quadratmeter, das sind 4000 Fußballfelder) für Autos reserviert sind, aber nur weniger als ein Drittel aller Wege mit dem Auto zurückgelegt werden. Wortwörtlich einzementiert wird unsere Abhängigkeit vom Auto auch durch die schlecht organisierte Raumordnung in Österreich und die Zersiedelung, die umso mehr Straßenbau notwendig macht. 

Foto von al-grishin auf Pixabay

Ein weiteres Beispiel für ein System, in dem die Rahmenbedingungen klimafreundliches Handeln nicht unbedingt unterstützen, ist die Landwirtschaft, immerhin ein wichtiger CO2-Emittent. Eigentlich wäre die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) ein gutes Mittel, die Landwirtschaft der Mitgliedsstaaten nachhaltig zu gestalten. Trotzdem ist das Budget der zweiten Säule für nachhaltige Landwirtschaft viel kleiner als das der ersten Säule, bei der Landwirte Subventionen einfach in Relation zu ihrer Fläche bekommen. Trotz der GAP können viele Kleinbauern heute nicht mehr von ihrer Arbeit leben. 

Was soll also verändert werden? 

Die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, die es allen Menschen erlauben, sich klimafreundlich zu verhalten, ohne darüber nachzudenken. Es braucht unter anderem ein ausgezeichnetes öffentliches Verkehrsnetz, viel Platz für und Investitionen in aktive Mobilität, Unterstützung für Bauern, damit sie nachhaltig produzieren können, ein Aus für klimaschädigende Subventionen, den Abbau bürokratischer Hürden für erneuerbare Energieprojekte und noch vieles mehr. 

Viele Tipps und anschauliche Beispiele, wie Rahmenbedingungen nachhaltig verändert werden können, finden sich auf der Website Ökoroutine.

Was sollte noch verändert werden? Schreibt eure Vorschläge in die Kommentare!

Welche Rolle spielt Aktivismus in der Transformation Richtung Nachhaltigkeit? 

Aktivismus und soziale Bewegungen können in vieler Hinsicht auf die vorherrschende Ordnung Einfluss nehmen und spielen daher eine potenziell wichtige Rolle in der Transformation in Richtung Nachhaltigkeit: Laut einer 2021 veröffentlichten Studie des Hamburger Cluster of Excellence CLICCS stellen sie einerseits grundlegende Annahmen der öffentlichen Meinung in Frage, andererseits können sie wichtige individuelle und kollektive Entscheidungen in Bezug auf Wahlen, Investitionen, Divestment, Konsum sowie auch die Klimaberichterstattung in den Medien beeinflussen. Durch diese vielschichtige Wirkungskraft haben Klimaproteste das Potenzial, die notwendige Geschwindigkeit des Wandels voranzutreiben (cf. CLICCS 2021, 87).  

Diese Studie geht der Frage nach, was die notwendige Transformation in Richtung Nachhaltigkeit potenziell verhindert oder vorantreibt. Sie kommt dabei zu der ernüchternden Erkenntnis, dass die zehn untersuchten Treiber nicht stark genug sind, um unsere Gesellschaft rasch zu dekarbonisieren. Dies wäre folglich zwar technisch möglich, durch den fehlenden politischen Willen und gesellschaftlichen Druck aber unrealistisch. “Damit eine tiefgreifende Dekarbonisierung bis 2050 plausibel wird, wird viel vom öffentlichen Druck durch Proteste, organisierte Aktionen und Klimaprozesse abhängen, sodass die Regierungen rund um den Globus zunehmend zu einer Politik gedrängt werden, die den Wandel nicht nur durch Ziele und Zusagen, sondern durch konsequentes Handeln unterstützt” (CLICCS 4, übersetzt mit DeepL).

„Paddle in Seattle“-Kampagne gegen Shell. Photo Credit: John S Lewis (Climate Visuals)

Laut der Studie liegt die große Hebelwirkung von Klimaprotesten in ihrer Einflussnahme auf gängige Narrative der öffentlichen Meinung – eine Schlüsselkomponente ihres langfristigen Erfolgs. So haben soziale Bewegungen oft eine fortschrittlichere Sichtweise auf ein gesellschaftliches Thema (in unserem Fall die Klimakrise) als die eher konservative Gesellschaft. Indem sie das Thema neu interpretieren und formulieren, können sie das (Selbst-)Verständnis der Gesellschaft in Frage stellen und Machthaber und dominante Politiken (de-)legitimieren (cf. CLICCS 87). 

Gängige gesellschaftliche Gegennarrative in Bezug auf die Klimakrise sind zum Beispiel, dass Österreich sowieso Vorreiter in der Klimapolitik ist, dass der Politik beim Klimaschutz die Hände gebunden sind, da die Menschen diesen nicht wollen (Stichwort: Die Verkehrswende muss in den Köpfen der Menschen beginnen) oder Klimaschutz sowieso Aufgabe der KonsumentInnen ist, dass Klimaschutz der Wirtschaft schadet und jetzt keine Priorität hat usw. 

Greta Thunberg und Fridays for Future konnten diese Argumente nicht nur entkräften, sondern auch ein alternatives politisches Narrativ entwickeln, das die verantwortungslose „Business-as-usual“-Politik und Aufgabe künftiger Generationen in Frage stellte. Greta Thunberg formulierte die Klimakrise als einen Notfall, der sofortige, weitreichende Klimaschutzmaßnahmen rechtfertige, und entfachte dadurch eine breite öffentliche Diskussion über die Notwendigkeit von Klimaschutz. Dass sie mit diesem Narrativ erfolgreich war, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass es vor 2018 noch vollkommen undenkbar gewesen wäre, dass eine EU-Kommissionspräsidentin mit dem Versprechen eines “Green Deal” ins Amt gewählt wird.

Auch in Österreich führten die Fridays for Future-Proteste von 2019 dazu, dass die Klimakrise in Österreich zum ersten Mal breit in der Öffentlichkeit diskutiert worden ist, stärker in den Medien präsent war und sich PolitikerInnen öffentlich zu Klimaschutz bekennen mussten. Das verstärkte öffentliche Interesse half den Grünen, bei der Nationalratswahl 2019 wieder in den Nationalrat einzuziehen und genug Stimmen für eine Regierungsbeteiligung mit der ÖVP zu gewinnen. Die monatelange Besetzung der Baustellen für den Lobautunnel bestärkte Klimaschutzministerin Leonore darin, das Straßenbauprojekt einzustellen.

Copyright Fridays4Future Wien

Allerdings ist die Klimawende noch nicht geschafft – nur weil PolitikerInnen sich nun zu Klimaschutz bekennen, heißt das leider noch lange nicht, dass sie auch entsprechende Maßnahmen umsetzen. Wir sollten die CLICCS also als Handlungsaufforderung sehen und die Klimabewegung mit unserem Engagement stärken.

Nur Worte statt Taten. Muss Aktivismus in Zukunft noch radikaler werden?

Nicht unbedingt; der Erfolg von Klimaprotesten hängt nämlich maßgeblich davon ab, dass diese andere wichtige Treiber der Gesellschaft, wie zum Beispiel die Medien, hinter sich haben. Wenn Klimaproteste nur dazu führen, dass Klimaschutz polarisiert und aufzeigt, wie gespalten die Gesellschaft in Bezug auf das Thema ist, können sie das System nicht verändern.

Eine ganz wesentliche Bedingung für den Erfolg von Klimaprotesten ist, dass sie gesellschaftliche Konflikte lösen und Polarisierung überwinden können.

Gerade ziviler Ungehorsam birgt diesbezüglich einige Risiken, von denen das größte die Störung des täglichen Lebens anderer Menschen ist. Wenn zum Beispiel Straßenblockaden das gesellschaftliche Zusammenleben beeinträchtigen, indem sie es unmöglich machen, pünktlich zur Arbeit zu kommen, kann das Ärger und eine Gegenbewegung hervorrufen: Solange die betroffenen Menschen nicht nachvollziehen können, warum ihr Alltag gerade gestört wird, werden sie die Anliegen der Protestgruppe nicht unterstützen. 

Es braucht daher immer einen Dialog zwischen der Protestgruppe und der breiten Öffentlichkeit, indem die AktivistInnen den Anliegen anderer zuhören, auf diese eingehen und nicht nur den Eindruck erwecken, dass sie predigen. In so einem Dialog können Protestierende auch Außenstehende einladen, sich ihnen anzuschließen. 

Das Klimabündnis Österreich hat eine Bierdeckelserie zur Klimakrise, damit diese auch am Stammtisch diskutiert wird. Copyright Klimabündnis Österreich. Quelle: klimartikulieren.at

Auf jeden Fall müssen AktivistInnen immer in zwei Richtungen kommunizieren: nach oben (also mit PolitikerInnen), und nach außen, damit die Gesellschaft versteht, worum es geht, und ihre Anliegen unterstützt. Außerdem sollte Aktivismus durch viele alltägliche Gespräche zum Thema quer durch alle gesellschaftlichen Gruppen ergänzt werden, damit die Bewegung in ihren Facetten sichtbar und spürbar wird. 

Ob eine soziale Bewegung Bystander von ihren Anliegen überzeugen kann, hängt aber vor allem von der Geschichte ab, die sie erzählt (Stichwort Storytelling). Diese sollte Menschlichkeit in der Vordergrund stellen und positive Emotionen wie Hoffnung, Gemeinschaftsgefühl oder Altruismus wecken. Zwar lassen sich Menschen auch durch unangenehme Gefühle wie Wut oder Verzweiflung motivieren, ein zu starker Fokus darauf birgt jedoch das Risiko, dass sich Menschen hilflos fühlen und zurückziehen. Es braucht also ein positives Narrativ, das es schafft, die breite Bevölkerung hinter sich zu vereinen: Im Fall der Klimakrise könnte das sein, dass wir schützen, was wir lieben, und gemeinsam eine bessere, gerechtere und sichere Welt schaffen. 

Was macht soziale Bewegungen noch erfolgreich?

Klimaproteste sind am ehesten erfolgreich, wenn sie in demokratischen Ländern stattfinden, wo politische Institutionen transparent sind und die Verfassung respektiert wird, sodass freier Informationsaustausch und die Vereinigungsfreiheit garantiert sind (cf. CLICCS 88). 

Auch die Größe der Bewegung ist ausschlaggebend – je zahlreicher und vielfältiger die TeilnehmerInnen, umso höher stehen die Chancen, dass eine soziale Bewegung tatsächlich Veränderungen hervorrufen kann (cf. Chenoweth & Stephan 2011). Zahlen sind allerdings nicht alles – es kommt auch auf die Intensität an, mit der sich Beteiligte mit der Bewegung identifizieren, sowie auf die Qualität der Beziehungen der Teilnehmenden untereinander (cf. Nardini et al 2020).  

Soziale Kipppunkte 

Gesellschaftliche Veränderung passieren oft nicht graduell, sondern scheinbar plötzlich, so als ob ein Hebel umgelegt wird. Man spricht also von einem so genannten “sozialen Kipppunkt”. Der Grund, weshalb dieser scheinbar plötzlich auftritt, ist, dass unterschiedliche Grassroot-Bewegungen schon lange im Verborgenen auf Veränderungen hingearbeitet haben, bevor der Kipppunkt erreicht worden ist. Wenn sich die Grassroot-Bewegungen vereinigen und eine kritische Masse erreichen, kann die öffentliche Stimmung zu ihren Gunsten “kippen”. Dazu ist oft nicht einmal eine absolute Mehrheit notwendig, die diesen Wandel befürwortet. So kommt eine Studie von Damon Centola zu dem Schluss, dass soziale Kipppunkte schon erreicht werden können, wenn ungefähr 25% der Bevölkerung dem Wandel zustimmen: Unter diesem Schwellenwert bekommt sie zu wenig Aufmerksamkeit; einige wenige Stimmen mehr können einen allgemeinen Gesinnungswandel auslösen. 

Einen bemerkenswerten sozialen Kipppunkt hat die “Black Lives Matter”-Bewegung geschafft, dank derer innerhalb kürzester Zeit die Stimmung in den USA gegen die institutionelle Diskriminierung von African Americans umgeschwenkt ist. 

Auch in der Klimakrise besteht die Hoffnung, dass wir in naher Zukunft so einen sozialen Kipppunkt erreichen, zeigt sich der Klimawissenschaftler Michael E. Mann überzeugt (The New Climate War, 255-256). Allerdings warnt er davor, dass so ein Kipppunkt mehr Engagement als üblich von uns erfordert, da mächtige wirtschaftliche und politische Player diesen zu verhindern versuchen.  

Was nehmen wir mit?

Es lohnt sich, dass wir uns für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen einsetzen.

Quellen

Centola et al. (2018), „Experimental evidence for tipping points in social convention.“ Science 360, 1116–1119.

Chenoweth, E., & Stephan, M. J. (2011). Why Civil Resistance Works. New York City, NY: Columbia University Press

Mann, Michael E (2021). The New Climate War. The Fight to Take Back our Planet. London: Scribe.

Nardini et al. (2020). „Together We Rise. How Social Movements Succeed.“ Society for Consumer Psychology. 1057-7408/2021/1532-7663/31(1)/112–145, DOI: 10.1002/jcpy.1201

Stammer, Detlef; Anita Engels; Jochem Marotzke; Eduardo Gresse; Christopher Hedemann; Jan Petzold (eds.); (2021). Hamburg Climate Futures Outlook 2021. Assessing the plausibility of deep decarbonization by 2050. Cluster of Excellence Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS). Hamburg, Germany.

Weiterführende Links

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