Vor drei Jahren ist meine Schwester bei einem Autounfall gestorben. Im Unglückswagen saßen auch meine Eltern und zwei anderen Geschwister ‒ sie überlebten jedoch mit mehr oder weniger starken Verletzungen. Der Anruf erreichte mich, als ich mit meinen Kindern gerade auf Urlaub war. Schlagartig änderte sich unser Leben für immer. Ich ließ mir Beruhigungsmittel verschreiben und durfte meine Tochter nicht mehr stillen. Einige Tage später ließ ich Mann und Kinder alleine, um mich um meinen wieder heimgekehrten Vater zu kümmern.

So furchtbar die ersten Wochen nach dem Unfall waren, so besonders waren sie auch. Ich durfte bei meiner Tante wohnen, bei der sich alle Verwandten trafen, um sich gemeinsam zu erinnern, zu trauern und uns gegenseitig zu trösten. Wir probten für das Begräbnis, kümmerten uns um Organisatorisches, und redeten viel. Selten hatte ich mich so mit ihnen verbunden gefühlt. Ich kontaktierte alte Freundinnen meiner Schwester und freute mich, nach so langer Zeit wieder von ihnen zu hören. Meine beste Schulfreundin, mit der ich vorher lange nicht in Kontakt gewesen war, half mir, das Begräbnis musikalisch zu gestalten. Arm in Arm gingen meine Geschwister und ich zum Grab.

Danach war das Begräbnis vorbei und das Leben ging offiziell weiter. Ich warnte die Kindergarten-Pädagogin meiner Kinder, dass diese eventuell nach dem Sterben fragen würden, doch sie taten es nicht. In unserem Alltag und ihrer gefühlt heilen Welt hatte der Tod meiner Schwester kaum Platz – sie entdeckten das Leben, spielten mit Freunden, tobten am Spielplatz. Die Eltern dort tauschten sich über Themen des Alltags aus – ich verschwieg, was in meiner Familie gerade passiert war. Ich wollte die anderen nicht unnötig belasten oder die Stimmung verderben. Insgesamt war es ja eine große Erleichterung, sich ablenken zu können. Daneben hatte ich ein Studium zu beenden. Der Tod meiner Schwester passte in unseren Alltag kaum hinein.

Klimademo 2019

Der Unfall fiel in eine Zeit, in der ich das erste Mal die Klimakrise emotional an mich herangelassen hatte. Dank Klimavolksbegehren und Fridays for Future hatte ich mich meinen langjährigen Klimaängsten gestellt und war zur Klimaaktivistin geworden. Ich konnte nun bei sichtbaren Folgen der Erderhitzung nicht mehr wegschauen, sondern ließ diese stets bewusst auf mich einwirken. Dies zwang mich auch, mich mit der Vergänglichkeit aller Dinge und meiner eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen: Was bedeutete diese Krise denn eigentlich für mich und mein Leben? Wollte ich mir noch vorstellen, wie ich einmal sterben würde?

Trotz dieser theoretischen Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit traf mich der Tod meiner Schwester vollkommen unvorbereitet und ließ auch meine Klimaängste gänzlich irrelevant und unpassend erscheinen.

Warum sollte ich mich mit der großen Katastrophe beschäftigen, wenn ich schon meine eigene Katastrophe nicht verkraften konnte?

Ich beendete mein ehrenamtliches Engagement. Einige Wochen nach dem Begräbnis fuhr ich dennoch zum Kongress für Klimakommunikation in Karlsruhe. Mir wurde klar, dass in Zukunft die Klimakrise in meinem Leben wieder an Bedeutung gewinnen würde und dass Klimakommunikation mir helfen könnte, damit umzugehen.

Nicht nur durch diese zeitliche Nähe fielen mir nach dem Begräbnis immer mehr Parallelen in meinem Umgang mit diesen beiden Katastrophen auf. Beide überforderten mich auf ähnliche Weise und schienen am ehesten verkraftbar, wenn ich sie verdrängte. Beide entpuppten sich als schwierige Gesprächsthemen mit Freundinnen im Alltag, sodass ich lieber gar nicht darüber sprach. Beide erfüllen mich mit Sehnen nach der Sorglosigkeit meiner Kindheit, als meine Schwester noch am Leben und die Natur gefühlt noch intakt war, als ich noch ohne schlechtes Gewissen in ein Flugzeug oder Auto steigen konnte und verdorrte Bäume noch keine Zukunftsängste in mir auslösten.

Mir fiel auch auf, wie unsichtbar der Tod in unserer Gesellschaft geworden ist, wie wenige und unzureichende Rituale diese uns bietet, um einem überwältigenden Ereignis wie dem Tod gerecht zu werden. Ich hätte Hilfestellungen gebraucht, wie ich meine Trauer besser leben und in den Alltag integrieren könnte. Solche Hilfestellungen fehlen mir nach wie vor für meinen Umgang mit Klimakrise, Artensterben und Biodiversitätsverlust. Immerhin gibt es so viel, um das ich trauern könnte, wie den Schnee von früher, Bäume, die in Wien schon im Sommer ihre Blätter verlieren, oder die vielen Arten, die für immer aussterben. Es ist so, als ob unsere alte vertraute Welt leise verschwindet, ohne dass wir uns von ihr gebührend verabschieden könnten. Ich bin mir sicher, dass ich diese Trauer mit vielen anderen Menschen teile; ich wüsste aber nicht, wie wir diese gemeinsam miteinander leben könnten.

Tod und Vergänglichkeit anzuerkennen, bedeutet für mich auch, mich nach dem Sinn meines Lebens zu fragen: Wenn mein Leben endlich ist, womit und mit wem verbringe ich es, damit ich am Ende zufrieden darauf zurückblicken kann? Was ist mir wichtig und heilig? Diese Fragen gewinnen auch durch den Klimanotstand und alle anderen globalen Probleme an Bedeutung: Wie kann ich angesichts vieler Krisen ein guter Mensch sein, das Leben genießen und meinem Leben Sinn geben?

Sie zeigen aber auch, dass der Vergleich zwischen der Klimakrise und dem Tod meiner Schwester in vieler Hinsicht hinkt. Letzteren kann ich nur ertragen und muss damit leben lernen. Ich kann mich bemühen, die Erinnerung an meine Schwester am Leben zu halten und meinen Kindern, die sie kaum kennenlernen konnten, von ihr zu erzählen.

Im Gegensatz dazu ist angesichts des Klimanotstands und anderer Krisen nicht entschieden, in welcher Zukunft wir einmal leben werden. Wir können das Überschreiten gefährlicher Kipppunkte und tödliche Wetterextreme nur verhindern, wenn wir jetzt sehr rasch Emissionen reduzieren und auf null bringen. Je rascher wir aus Erdöl, Erdgas und Kohle aussteigen, umso besser: Jede Tonne Treibhausgase weniger in der Atmosphäre, jedes Zehntel Grad weniger Erhitzung macht unser Leben und das Leben unserer Kinder sicherer und lebenswerter.

Dazu ist es notwendig, Klimaschutz visionär zu denken: Es braucht exzellente Bildung für die nachkommenden Generationen, die selbstständiges, kreatives und kritisches Denken fördert, eine unabhängige Medienlandschaft, die ihren Bildungsauftrag ernst nimmt, starke Demokratien, denen Bürger:innenbeteiligung ein Anliegen ist, ein neues Verständnis von Arbeit und Wohlstand, und vor allem Formen des Miteinander, die auf Würde und gegenseitigem Respekt beruhen.

Es wäre also fatal, einfach nur zu versuchen, das Weltgeschehen zu ertragen. Wenn wir mit der Klimakrise leben müssen, sollten wir uns für Klimaschutz und für ein gutes Leben für alle engagieren.