Vom Nachhaltigkeitsfrust und der Entscheidung, darüber zu reden

Foto: (c) sumanley, pixabay.com

Kürzlich haben wir uns beim Elektriker erkundigt, ob auf unserem Dach eine Photovoltaik-Anlage möglich wäre. Unsere Idee war: Ganz ohne Auto geht es nicht, aber unser nächster Wagen wird ein Elektroauto, und das betanken wir dann mit sauberem Strom vom eigenen Dach. Kurz darauf habe ich das am Telefon einer Freundin erzählt, und wir diskutierten über Elektroautos. Der Eindruck, der blieb: Die Treibstoffbeschaffung ist lösbar. Aber sind die Produktion (Ressourcenfresser) und schließlich die Entsorgung der Batterien (ungeklärt) nicht ein Riesenproblem? Ade, Idee von der sauberen Mobilität? Machen wir es wieder nicht richtig?

Ob unverpackte Gurken, die schimmlig im Supermarkt-Müll landen, Stoffbeutel, die erst bei der x-ten Verwendung nachhaltiger sind als Plastiksäcke, oder Glas, das ganz bestimmte Recycling-Wege gehen muss, bis es besser ist als Tetrapak und Co: Die Enttäuschung, dass der Weg meiner Wahl wieder nicht so „gut“ ist wie erhofft, begegnet mir häufig. Es ist eine Art Schuldgefühl: zu wenig nachhaltig zu agieren, zu viele Ressourcen zu verbrauchen, mit einer neuen Erkenntnis alten Fehlern immer nur hinterherzulaufen, ohne tatsächlich etwas auszugleichen. Vielleicht ist Schuldgefühl auch das falsche Wort. Es ist eher der – langfristig frustrierende – Eindruck, nie genug zu tun.

Je genauer man schaut, desto schwieriger wird es

Je mehr ich darauf achte, was ich tue, je bewusster ich eine Alltagshandlung umstelle, desto stärker habe ich das Gefühl, dass mein Einfluss – global gesehen – verschwindend gering ist. Je mehr ich mein Wissen vertiefe, desto mehr Kriterien, Messwerte, Relativierungen tauchen auf und desto schwerer fallen mir selbst kleine Entscheidungen.

Nicht mehr neu ist z. B. die Erkenntnis, dass nicht überall bio drin ist, wo bio draufsteht, und dass Gütesiegel oft nicht viel aussagen. Schauen wir genauer hin, stoßen wir schnell an die Grenzen der Nachhaltigkeit – nachzulesen bei Cornelia Diesenreiter (Rezension), die schnell feststellen musste, dass es kaum möglich ist, ein durch und durch nachhaltiges Produkt zu schaffen.

Ein anderes Beispiel, sozusagen auf „Systemebene“, ist Greenwashing: Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen sind oft reine Marketing-Schlagworte oder zumindest längst nicht so weitreichend, wie sie suggerieren:

(c) stux, pixabay.com

Gewand aus Bio-Baumwolle oder Produkte aus recyceltem Plastik enthalten diese Stoffe oft nur zum Teil, nur Bruchteile der Handelskette sind nachhaltig, oder das jeweilige Unternehmen betreibt noch andere, weniger „grüne“ Branchen.

Auf noch höherer Systemebene könnte man sagen, dass unser gesamtes Wirtschaftssystem gegen die Nachhaltigkeit arbeitet – frustrierenderweise scheinbar ein unlösbares Problem: „Würde unsere Marktwirtschaft richtig – also nach Ökonomie-Lehrbuch – funktionieren, dann bräuchte es überhaupt keine Siegel oder Kompensationsmaßnahmen. Sondern die Preise würden die ökologische und soziale Wahrheit ausdrücken. (…) Aber wenn die Preise die ökologische Wahrheit sagten, würden sie stark steigen, was problematisch wäre. Selbst in den reichen Industriestaaten kommen viele nur über die Runden, weil sie die billigsten Waren kaufen. Schon geringe Preissteigerungen können manche Haushalte aus der Bahn werfen.“ (mehr dazu hier)

Man könnte also auch sagen: Je weiter nach oben man den Blick richtet, desto frustrierender wird es. Das führt zu Ohnmachtsgefühlen (ich hab eh keinen Einfluss) und Frust (ich habe mich so bemüht und nichts damit erreicht). Also aufgeben und in den Chor einstimmen, der sagt: „Wir können eh nichts dagegen tun“?

Ich bin nicht allein

Ein wenig hilft es vielleicht, sich umzuhören und nachzulesen.

Als ich letztes Jahr Cornelia Diesenreiters oben erwähntes Buch Nachhaltig gibt’s nicht gelesen habe, fühlte ich mich plötzlich sehr verstanden. Da berichtete jemand, der wirklich sehr kompromisslos nachhaltige Wege gesucht hatte und konsequent erkennen musste, wie vieles nicht geht.

Immer öfter liest man auch auf diversen Blogs, in Zeitungsberichten und Magazinen von (vorwiegend jungen) Menschen, die sich sehr engagieren, um ihren Beitrag gegen die Klimakrise zu leisten, und immer mehr unter dem Eindruck leiden, dass der positive Impact verschwindend gering ist (ein Beispiel hier). Manche verweisen auf die Großen und Mächtigen, die mit diesem System „viel zu gut fahren“. Andere sind frustriert, weil sie auf so viel Unverständnis und Ignoranz stoßen. Viele fühlen sich ohnmächtig – und das scheitert nicht an mangelnder Information.

Kommunikation: Authentisch sein

Tatsache ist: Wir können diese Komplexität, diese Widersprüche nicht ausblenden oder löschen. Wir müssen mit ihnen leben. Aber wenn, dann lieber offen und ehrlich!

Ja, es gibt genug Grund, traurig und frustriert zu sein – aber keinen Grund, diese Gefühle hinunterzuschlucken. Nichts wird besser, wenn wir darüber schweigen. Darüber zu reden hat gleich mehrere Vorteile.

Zum einen sind starke Gefühle von Angst, Ärger oder Trauer eine gesunde und angemessene Reaktion auf eine Krise – auch auf die Klimakrise. (Dazu z. B. Dr. Elizabeth Hasse hier.)

Zum anderen können wir mehr bewegen, wenn wir diese Gefühle zeigen. Wenn wir sie thematisieren und zum Anlass nehmen, um das Ausmaß und die Auswirkungen des ganzen Nachhaltigkeits-Klima-Themenkomplexes aufzuzeigen, sind wir authentischer. Die Wahrscheinlichkeit, gehört zu werden – gerade auch von Zweifler*innen und schwierigen Diskussionspartnern – ist wesentlich größer, wenn wir authentisch sind.

Und so ganz nebenbei ein weiterer Effekt: Wenn wir darüber sprechen, ist die Chance groß, auf jemanden zu treffen, dem es ähnlich geht. Über das oben erwähnte Verstandenfühlen hinaus ermöglicht das einen Austausch – und wer weiß, vielleicht sogar die eine oder andere bereichernde Information.

Warum Wissen und Bewusstsein trotzdem helfen

Denn Tatsache ist auch: Wissen reicht nicht immer aus, aber ohne Information geht es erst recht nicht. Wir können komplexen Sachverhalten eher beikommen, wenn wir uns informieren und bewusst entscheiden. Auch wenn Zielkonflikte entstehen. Das ist laut Cornelia Diesenreiter dann der Fall, „wenn unterschiedliche Möglichkeiten, nachhaltig zu agieren beziehungsweise Belastungen zu vermeiden, gegeneinander abgewogen werden müssen.“ (S. 41)

(c) Alexas_Fotos, pixabay.com

Es gibt aber sehr wohl Fälle, in denen Wissen weiterhilft und Entscheidungen in Richtung Nachhaltigkeit lenken kann. Und zwar gerade uns als Einzelnen! Ein Beispiel: Laut aktuellen Statistiken des WWF verursachen Privathaushalte – also wir alle! – in Summe wesentlich größere Abfallmengen als Supermärkte und Co. (darauf gestoßen in Diesenreiter, S. 62). Jawohl, jede*r Einzelne von uns.

Gerade wir Menschen aus mittleren und höheren Bildungs- und Einkommensschichten in Industrienationen sollten uns da angesprochen fühlen. Je höher das Einkommen, desto größer der Einfluss an den wichtigen Hebeln. Diese sind laut Tilman Santarius, Professor für sozial-ökologische Transformation an der Technischen Universität Berlin: Wohnen, Mobilität und Konsum. Gerade beim Konsum haben wir uns nicht an weniger, sondern an mehr gewöhnt: „Selbst kleine Fortschritte machen Unternehmen und Käufer regelmäßig zunichte. Wenn etwa Ingenieure Motoren konstruieren, die mit deutlich weniger Sprit die gleiche Leistung bringen, aber die Unternehmen größere Autos mit stärkeren Motoren anbieten – und Kunden darauf anspringen. Oder wenn Verbraucher durch geringeren Energieverbrauch eingespartes Geld für anderes ausgeben. Wissenschaftler sprechen vom sogenannten Rebound-Effekt.“

Und wie schaffe ich das? Mit Bewusstmachung statt Gedankenlosigkeit. Mit vielen kleinen Einzelentscheidungen – und mit grundsätzlichen, sozusagen strukturellen Entscheidungen. Wenn ich im Alltag Strukturen einführen kann, die – wie Michael Bilharz vom deutschen Umweltbundesamt sagt – „von alleine arbeiten“. Er bringt dabei die Beispiele Carsharing und ökologische Geldanlage. Bei ersterem erspare ich mir die Beschaffung und Finanzierung eines Fahrzeugs, bei zweiterem viele komplexe Fragestellungen.

(c) geralt, pixabay.com

Und übrigens: Ich habe mich noch ein bisschen über Elektroautos informiert. Tatsache ist: Es bedarf einiger Weiterentwicklungen, dann aber ist Elektromobilität sowohl alltagsfähig als auch „grüner“ als herkömmliche Verbrennungsautos.

Es ist also nicht egal, ob wir uns informieren und kritisch denken – es ist der erste Schritt. Viele kleine Entscheidungen zusammengenommen haben auch Einfluss. Beginnen wir dort, wo es uns leichtfällt. Und versuchen wir dort, wo wir können, systematisch etwas zu ändern – damit nicht jeder unserer Schritte ein einzelner ist.

Zum Weiterlesen

CO2-Rechner für den individuellen Ressourcenverbrauch: www.footprintnetwork.org

Rezension zu „Nachhaltig gibt’s nicht“: https://www.klimakommunikation.at/465/ich-weiss-dass-ich-nichts-weiss/

Mehr zum Thema Ohnmachtsgefühle: https://www.klimakommunikation.at/109/das-gefuhl-der-ohnmacht/

Zur Risikowahrnehmung und warum es uns die schiere Größe und Abstraktion des Themas Klimakrise so schwer macht: https://www.klimakommunikation.at/97/unsere-subjektive-risikowahrnehmung/

Überblick Greenwashing-Strategien: https://www.lebensart.at/greenwashing-check

Mythen und Fakten zur Elektromobilität: https://www.elektroauto-news.net/2020/acht-mythen-und-fakten-elektromobilitaet