Journalist*innen, die ihre Branche dafür kritisieren, dass die Klimakrise dort zu wenig Thema ist? Die mangelnde Sichtbarkeit von Umweltthemen ist kein neues Problem. Doch es wird in jüngster Zeit vermehrt diskutiert. Anlass für mich, zu recherchieren: Was läuft offenbar schief, und welche Ideen und Lösungsansätze gibt es vielleicht bereits?

Ausgangspunkte

Auf der Plattform klimafakten.de kritisiert Daniela Becker, „… wie Medien versagt haben, die Klimakrise als das darzustellen, was sie ist: die größte, menschengemachte und damit abwendbare Bedrohung, der die Menschheit je ausgesetzt war.“

Im Standard sieht Manuel Grebenjak ebenfalls die Medien (mit) in der Verantwortung, der Klimakrise in der Berichterstattung Raum zugeben. Und wenn doch berichtet werde, dann würden die klassischen Fehler gemacht – Berichte von schmelzenden Polkappen statt aus der unmittelbaren Umgebung, Fokus auf Kosten statt auf Lösungen.

Die Journalistin Sara Schurmann wiederum fordert in einem Offenen Brief an Berufskolleg*innen die Auswirkungen auf das Klima in ihre Berichterstattung einzubeziehen. Die Klimakrise betreffe jede Branche und jede (Medien-)Rubrik. Sie ist bedrohliche Realität, die realistisch abgebildet werden müsse. Journalist*innen müssten erkennen, welche entscheidende Rolle sie in der (Kommunikation der) Klimakrise spielen, und entsprechend handeln.

Welche Rolle spielen Umwelt und Klima in der Mediendiskussion?
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Was schief läuft

1. Es gibt meist kein eigenes Ressort für Umwelt und Klima. Nachrichten zum Thema fallen überall und nirgends hinein. Das nimmt ihm seine Sichtbarkeit. Und offenbar ist die Klimakrise, trotz ihrer Dringlichkeit, nicht „aktuell“ genug, um dennoch ressortübergreifend präsent zu sein – wie es etwa Covid-19 ist. „Und anstatt Ressourcen und Jobs für langwierige und komplexe Recherchen bereitzustellen, fällt die Berichterstattung über Klimapaket und UN-Verhandlungen oft in das Bermuda-Dreieck zwischen den Ressorts Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.“ (Bernhard Poetter)

2. Das Klima ist nicht attraktiv genug für aufsehenerregende Storys. Manuel Grebenjak wirft seinen Kolleg*innen vor, zu wenig nach berichtenswerten Geschichten zu suchen. Chefredakteur*innen müssten „richtiggehend überredet werden“, etwas zum Klima zu bringen, obwohl es in größeren Medienhäusern zunehmend eine eigene Person für das Thema gebe. Laut Grebenjak nimmt die Priorität des Themas ab, je größer ein Medienhaus ist. (Eine plausible Aussage, die ich noch nicht geprüft habe.)

3. Mangelndes Fachwissen im breiten Journalismus. In den ‚einflussreichen‘ Ressorts und Redaktionen fehlt es Kritiker*innen zufolge an Fachwissen – etwa in Politik- und Wirtschaftsredaktionen. Ein*e Fachredakteur*in für die ganze Redaktion, oft noch dem Rand-Ressort Wissenschaft zugeteilt, reiche nicht. „Teils gibt es niemanden, der oder die sich wirklich tiefgreifend mit dem Thema auskennt. Dabei betrifft die Klimakrise, die unsere Lebensgrundlagen bedroht, jeden gesellschaftlichen und damit auch journalistischen Bereich.“ (Sara Schurmann)

Die Berichterstattung erreicht nicht alle.
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4. Die Berichterstattung erreicht nur Teile der Gesellschaft. Zwar gibt es bereits ein großes Angebot an Blogs, Podcasts und anderen Initiativen, die auf Natur und Umwelt fokussieren, Aspekte der Klimakrise erklären und vielleicht sogar Interessierte vernetzen. Das Problem: Sie erreichen oft nur ein Publikum, das ohnehin offen und interessiert ist. In die gesamtgesellschaftliche Debatte dringen sie kaum vor. Nicht zuletzt, weil Medien immer nur ein gewisses Publikum ansprechen – während etwa Regierungen der gesamten Bevölkerung gegenüber verantwortlich sind.

Was man tun kann

Die Dinge beim Namen nennen. Die Präsenz und Dringlichkeit des Klimaproblems soll in der Sprache abgebildet werden. Vorreiter war hier der britische Guardian. Guardian und Observer gaben im Mai 2019 bekannt, ihre redaktionellen Sprachregeln zu Klimathemen zu ändern. „Erderhitzung“ klingt dringlicher als „Erderwärmung“, „Wissenschaftsleugner“ enttarnender als „Klimaskeptiker“. Analog zu Gender-Richtlinien soll eine „klimagerechte Sprache“ etabliert werden, die Verharmlosungen vermeidet und bei Bedarf auch neue Begriffe etabliert. Mit dazu gehört offenbar auch, Fakten präsenter zu machen. Unter anderem bot der Guardian einen CO2-Rechner mit konkreten Beispielen an.

Klare Worte finden: „Klimaerhitzung“ statt „Klimaerwärmung“.
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Im deutschsprachigen Raum ist die Berliner taz dem Vorbild des Guardian gefolgt. taz-Journalist Kai Schöneberg und Journalismus-Professor Torsten Schäfer haben einen entsprechenden Leitfaden erstellt, der nicht nur Orientierung bieten soll, sondern auch dazu anregen, „das Vokabular zu erweitern“. Das beginnt bei der Klimakrise, die etwa auch Klimakatastrophe, Klimanotstand, Klimabedrohung etc. genannt werden kann – Hauptsache, der Begriff ist eindeutig und macht sichtbar, anstatt zu verschleiern.

Dem Klimaproblem Raum geben und das Thema klar einordnen. Sollte es eine ‚Verpflichtung‘ zur Berichterstattung geben? Eine Möglichkeit wäre, Umwelt und Klima ein eigenes, selbständiges Ressort zuzusprechen, sodass regelmäßig berichtet werden ‚muss‘. orf.at hat erst vor Kurzem das Ressort „Umwelt & Klima“ eingeführt. Journalisten wie Manuel Grebenjak fordern umgekehrt, das Klima müsse als Aspekt in verschiedenste Berichterstattungen zu verschiedensten Themen einfließen. Auch Daniela Becker schreibt: „Als sehr naheliegend wurde die Idee empfunden, dem Thema Klimakrise kontinuierlich und prominent mehr Platz einzuräumen – möglicherweise in einem eigenen Ressort.“ (Daniela Becker, klimafakten.de) Darüber hinaus gibt es konkrete Versuche, eigene Formate zu schaffen, um das Thema in der Medienlandschaft zu etablieren. Die Initiative „Klima° vor acht“ z.B. wollte erreichen, dass die tägliche Börsen-Berichterstattung im öffentlichen deutschen Fernsehen durch eine Klima-Sendung ersetzt wird – also „einfache, verständliche Formate zur Primetime“. Die Initiator*innen sind Freiwillige aus Wissenschaft und Journalismus, aber auch anderen Bereichen. Eine erste Sendung sollte über Crowdfunding finanziert werden – eine Strategie, welche die Idee gleichzeitig sichtbar macht. Mit Erfolg: Am 13. Mai 2021 wird die fünfte Folge erstausgestrahlt.

Für wirklich ausgewogene Darstellung sorgen. Hier begegnet uns, wie so oft, das Phänomen der falschen Ausgewogenheit. Grebenjak schreibt dazu: „Jahrzehntelang wurden Klimawandel-Leugnenden der gleiche Platz eingeräumt wie anerkannten Wissenschafterinnen und Wissenschaftern.“ Sehr häufig wird in Talkshows und Diskussionsformaten die Wissenschaft den Skeptiker*innen scheinbar gleichwertig gegenübergestellt. Beide bekommen Platz eingeräumt, beide entsenden ‚Vertreter‘, so als sei die Klimakatastrophe nicht längst anerkannte Tatsache. Grebenjak zufolge müsse die Debatte nicht zwischen Fakten und Skeptizismus, sondern zwischen radikalen und reformistischen Lösungen geführt werden.

Die eigentliche journalistische Aufgabe: Konkret werden und erzählen. Wie auch im Standard-Artikel erwähnt, reicht es nicht, auf Storys zu warten – es gilt, sie zu suchen, und natürlich davon zu berichten. Je konkreter, desto besser funktioniert das meist. Deshalb sind Best-Practice-Beispiele aller Art besonders geeignet. Dabei ist es kein Hindernis, wenn es kleine, auch regionale Initiativen sind: etwa Lokalzeitungen, kleine Sender, NGOs. „Lokalzeitungen haben die Möglichkeit, im Zeichen der Klimakrise neue Akzente zu setzen und ein besonderes Augenmerk auf die regionalen Auswirkungen, Herausforderungen und die Akteure zu richten“, schreibt etwa Daniela Becker. Weil die Thematik komplex ist und uns ihr Ausmaß erschöpft, ist der regelmäßige Hinweis auf Erfolge und Vorbilder wichtig: „Denkbar wäre ein Format ‚Köpfe der Woche‘, das Aktionen, Firmen oder Einzelpersonen zeigt, die zum Klimaschutz beitragen.“ Dabei müssen sich Journalist*innen nicht auf ihre eigene Branche beschränken. Warum z.B. nicht Leserinnen und Leser fragen? Wenn sich Menschen an ihrem eigenen Alltag orientieren, können mit etwas Kreativität und Schwarm-Intelligenz interessante Ideen entstehen. Hierzu berichtet Daniela Becker über einen Bürger*innen-Workshop in Konstanz: „Vielfach wurde in Konstanz der Wunsch geäußert, in den Medien mehr über ganz konkrete Möglichkeiten zum Klimaschutz zu erfahren. Dabei ging es (…) eher um Mitmach-Initiativen, Car-Sharing-Angebote, Energiespartipps, Förderprogramme für Sanierungen oder Bundestagspetitionen.“

Eine mögliche Strategie: Austausch fördern und Geschichten erzählen.
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Fazit

Es gibt viele Möglichkeiten, die mangelnde Sichtbarkeit und Dringlichkeit der Klimaproblematik ‚auszuhebeln‘. Dabei werden es Einzelkämpfer*innen immer vergleichsweise schwer haben, durchzudringen. Es muss wohl eine Mischung – oder vielmehr die Summe aus allen Ansätzen – her, um die Akzeptanz und Lösungsbereitschaft in der Bevölkerung steigern zu können. Dabei sind vor allem Chefredakteur*innen und Medienverantwortliche gefordert, sich die besprochenen Vorschläge zu Herzen zu nehmen und weitere, kreative Lösungen zu finden. Natürlich gehört auch dazu, „für kleine und große Störer im normalen Medienprogramm“ zu sorgen, wie Daniela Becker schreibt, denn: „Gefällig zu sein ist keine journalistische Aufgabe.“ Gleichzeitig gehört es aber zu den journalistischen Aufgaben, zu sammeln, aufzubereiten und den Austausch anzuregen. Damit lässt sich langfristig hoffentlich das übergeordnete Ziel erreichen: Menschen zum Handeln zu motivieren.

PS: Dieser Artikel ist nur eine erste Zusammenschau. Sicher ließen sich noch weitere Wortmeldungen und Ideen finden. Auch würde ich gerne noch gesondert untersuchen, welche Initiativen sich bisher in Österreich finden. Das aber bleibt ggf. einem weiteren Beitrag vorbehalten.

Weiterführende Links

Leitfaden für klimagerechte Sprache: https://taz.de/pdf/klimagerechtesprache.pdf

Zur Strategie der TAZ: https://www.youtube.com/watch?v=13nLxHDitvk&t=6s

Offener Brief von Sara Schurmann: https://uebermedien.de/52582/journalistinnen-nehmt-die-klimakrise-endlich-ernst/

Medien-Artikel von Bernhard Poetter: https://uebermedien.de/43754/an-der-klimakrise-scheitern-nicht-nur-die-regierungen-sondern-auch-die-medien/

Medien-Artikel von Daniela Becker: https://www.klimafakten.de/meldung/wie-medien-der-klimakrise-gerecht-werden-koennen-versuch-einer-konstruktiven-medienkritik

Medien-Artikel von Lizzie Widdicombe: https://www.newyorker.com/culture/culture-desk/how-should-the-media-talk-about-climate-change

Weiteres von Manuel Grebenjak: https://www.moment.at/story/9-arten-auf-die-medien-der-klimakrise-versagen

Wir müssen anders über die Klimakrise reden, Gastartikel von Kamyar Razavi