Maren Urner: Schluss mit dem täglichen Weltuntergang. 2019: Droemer

Rezension 

Für Klimaaktivist*innen klingt der Titel von Maren Urners Buch Schluss mit dem täglichen Weltuntergang wie eine Provokation: „Moment mal, unser Haus brennt! Wir brauchen den täglichen Weltuntergang, um alle wachzurütteln!“

Lassen wir uns allerdings von dem Titel nicht abschrecken und auf das Buch ein, merken wir sehr schnell, dass Maren Urner die Klimakrise keineswegs leugnet, sondern im Gegenteil sehr ernst nimmt. So ernst, dass sie täglich auf der ersten Seite aller Zeitungen über die Klimakrise lesen möchte.

Aber Moment, ist das nicht ein Widerspruch? Warum fordert sie dann mit ihrem Buch den Schluss mit dem täglichen Weltuntergang?

Für Maren Urner kommt es darauf an, WIE über die Klimakrise berichtet wird. Als Neurowissenschaftlerin ist ihr nämlich bewusst, welche Folgen negative Berichterstattung mit reinem Fokus auf Gefahren und Katastrophen für unsere Psyche und Gesundheit, aber auch unsere Gesellschaft haben.

Die Folgen ständiger negativer Berichterstattung auf unsere Gesellschaft

Generell lesen Menschen eher negative Nachrichten als positive. In Bezug auf Gesundheit und Psyche löst der ständige Konsum negativer Nachrichten allerdings Dauerstress aus, der unseren Hormonhaushalt durcheinanderbringt und das Immunsystem schwächt. Als Folge kann es zu Depressionen, Übergewicht und zahlreichen chronischen Beschwerden wie zum Beispiel Bluthochdruck und Diabetes kommen. Außerdem wird unsere Wahrnehmung verzerrt, sodass wir die Welt als schlechter empfinden, als sie eh schon ist.

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Besonders fatal sind die Folgen negativer Medienberichterstattung allerdings für unsere Gesellschaft. Wenn Medien uns nämlich mit Katastrophen und scheinbar ausweglosen Situationen konfrontieren, stumpfen wir nicht nur emotional ab, sondern ziehen uns auch in eine „erlernte Hilflosigkeit“ zurück. Wir versuchen gar nicht erst ein Problem zu lösen, sondern widmen uns anderen – weniger stressigeren – Themen zu und hören im schlimmsten Fall auf Medien zu konsumieren: „Unsere Bereitschaft, aktiv an der Gestaltung gesellschaftlicher Umstände mitzuwirken, sinkt, und wir zeigen uns weniger hilfsbereit.“ (48)

Keine gute Titelseite: Appelle an die Angst motivieren uns nicht zu handeln. Quelle: http://content.time.com/time/covers/0,16641,20060403,00.html

Hier zeigt sich nun die Gefahr von zu viel negativer Berichterstattung im Fall der Klimakrise: Wenn wir Tag für Tag damit konfrontiert werden, dass die Klimakrise unsere Existenz bedroht, dann stresst und überfordert uns diese Informationen,  „dann gehen wir eben nicht auf die Straße, sondern würden uns am liebsten in Embryonalstellung unter der Bettdecke verkriechen.“ (83) Anstatt uns mit dem Thema auseinanderzusetzen und an einer Lösung zu arbeiten, lenken wir uns gezielt von der unangenehmen Wahrheit ab, indem wir zum Beispiel Wohlfühlmagazine konsumieren. „Aus der informierten Bevölkerung wird so also eine Bevölkerung, die gelernt hat, hilflos zu sein.“ (83)

Journalismus hat einen gesellschaftlichen Auftrag

Das bedeutet allerdings, dass Medienberichte das Gegenteil ihres eigentlichen Zwecks bewirken. Laut Urner hat Journalismus nämlich zur Aufgabe, die Bürger*innen so zu informieren, dass diese aktiv an der Gesellschaft teilnehmen können. Nach dieser Definition spiegelt Journalismus die Welt niemals objektiv ab, sondern wirkt auf sie ein, indem er zum Beispiel Leser*innen entweder in erlernter Hilflosigkeit erstarren lässt, oder sie motiviert, sich mit einem Thema näher auseinanderzusetzen.

Durch diesen Einfluss tragen Journalist*innen und Redakteur*innen eine besondere Verantwortung. Journalist*innen sollten sich dessen bewusst sein, und genau überlegen, welche Reaktionen sie mit ihrer Arbeit auslösen möchten. Denn Medienkonsum, so Urner, weckt immer Emotionen in uns aus, sei es Langweile, Interesse, Angst, Neugierde, oder Wut…  Bei rein negativen Emotionen kann es zu den oben beschriebenen Begleiterscheinungen kommen. Positive Emotionen hätten den Vorteil, dass sie sich auch positiv auf uns auswirken: Wir werden kreativer, sodass wir Probleme besser lösen können, sozialer und gesünder.

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Eine zentrale These Urners Buch ist also, dass Berichterstattung niemals objektiv sein kann. Im Gegenteil, viele Aspekte, wie zum Beispiel die Wahl der Themen, die Darstellung und Eingrenzung eines Themas, sowie auch die Wortwahl (also ob etwas zum Beispiel als eine Krise bezeichnet wird) beruhen auf subjektiven Entscheidungen der Redakteur*innen und Journalist*innen.

„Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen“ (74)

Wie soll nun aber Klimaberichterstattung aussehen, die die Leser*innen ermächtigt anstatt sie zu lähmen? Urner argumentiert, dass wir uns aktuellen Herausforderungen wie der Klimakrise nur stellen können, wenn Journalist*innen zukunftsorientiert über sie sprechen und uns zeigen, wie wir der Krise begegnen können. Dieser so genannte konstruktive Journalismus fügt den üblichen W-Fragen („Was?“, „Wo?“, „Wann?“, „Wer?“, „Wie?“, „Warum?“) noch eine weitere Frage, nämlich „Was jetzt?“ oder „Wie kann es weitergehen?“ hinzu. Es geht also nicht darum, nicht mehr über die Gefahr der Klimakrise zu berichten oder diese schönzureden, sondern bedrohliche Szenarien immer mit möglichen Lösungen und bereits bestehenden Lösungsansätze zu verknüpfen.

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Wenn solche Lösungsansätze beschrieben werden, steigt unsere Motivation uns mit dem Thema näher auseinanderzusetzen. Hierzu ein Beispiel von zwei Artikeln zum Thema Bienensterben, die beide die gleiche traurige Realität beschrieben: „Wurde nur berichtet, dass in immer größerem Ausmaß Bienenvölker sterben, reagierten die Leser konsterniert und deprimiert auf die Artikel. Wurde im Artikel aber auch diskutiert, welche Möglichkeiten es bereits gibt oder geplant sind, um das Bienensterben einzudämmen, fühlten sich die Leser am Ende nicht nur informierter und interessierter an der Thematik, sie verspürten auch ein größeres Verlangen danach, mit anderen Menschen über den Artikel zu sprechen, sich noch mehr zu dem Thema zu informieren und auf die Suche nach weiteren lösungsorientierten Berichten zum Thema zu machen.“ (72)

Konstruktiver Journalismus am Beispiel von Perspective Daily

Wie konstruktiver Journalismus funktionieren kann, zeigt Maren Urner am Beispiel der von ihr ins Leben gerufenen Nachrichtenplattform Perspective Daily. Die Plattform ist absolut werbefrei und finanziert sich über Mitgliederbeiträge, um über jegliche Einflussnahme erhaben zu sein. Es gibt auch keine Ressorts, da die meisten Themen ja ressortübergreifend sind und die Zusammenhänge unserer komplexen Welt aufgezeigt werden sollen: „Der Klimawandel beispielsweise ist kein Umwelt-, Nachhaltigkeits- oder Wissenschaftsthema, sondern die größte Herausforderung, vor der wir als Gesellschaft stehen“, so Urner (143). Die Autor*innen der Artikel haben alle einen Fachhintergrund und damit mehr Fachwissen als übliche Journalist*innen, damit sie besser in der Lage sind, Informationen und Quellen auf deren Stärken und Schwächen auszuwerten. Gearbeitet wird kollaborativ. Um die registrierte Leserschaft nicht mit einer Informationsflut zu überfordern, werden weiterführende Links am Rand statt im Text selber angegeben; so genannte Klapper bieten Zusatzinformationen an. Außerdem gibt es ein Forum, in denen sie mit den Autor*innen ins Gespräch kommen, Fragen stellen und Anregungen geben können.

Insgesamt liest sich Maren Urners Schluss mit dem täglichen Weltuntergang als feuriges Plädoyer für verantwortungsbewussten Journalismus, der die Welt bewegt.

Weiterführende Links: Vortrag Maren Urner, Artikel Wer gegen konstruktiven Journalismus ist, hat ihn nicht verstanden

Quelle Titelbild: https://www.wissenschaft-shop.de/themenwelten/geschichte-philosophie-literatur/dr-maren-urner-schluss-mit-dem-taeglichen-weltuntergang.html