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„Wie kannst du jetzt vom Klima reden, wenn in der Ukraine Krieg herrscht? Da gibt es doch dringendere Probleme!“ Eigentlich ein berechtigter Vorwurf: Es ist klar, dass eine akute Krise ein schleichendes Problem wie die Klimaerhitzung zunächst verdrängt. Und Krieg ist eine akute Krise, die uns mitfühlen lässt und mitbetrifft. Unsere Fähigkeit, mehrere große Probleme gleichzeitig zu verarbeiten, ist begrenzt – eine Art „Schockstarre“ ist da eine natürliche Reaktion. Es ist absolut angemessen, erst einmal betroffen innezuhalten. Es gibt aber genug Gründe, angesichts des Krieges nicht über das Klima zu schweigen.

Darüber hinaus hängen Klimakrise und Russlands Überfall auf die Ukraine stärker zusammen, als es auf den ersten Blick scheint. Und beides betrifft uns zumindest mittelbar – und zwar alle, in Europa und weltweit.

Die Energieversorgungsfrage erfordert schnelles Handeln.

Der (medial) deutlichste Zusammenhang – und ein wesentliches Argument auch unter Politiker:innen und Expert:innen – sind die Energieversorgung und die sehr konkreten unmittelbaren Folgen, die der Russland-Ukraine-Krieg darauf hat: Viele europäische Länder sind Abnehmer für russisches Erdöl und Erdgas. Das betrifft auch Österreich und Deutschland. Ein Konflikt mit Russland kann einen Versorgungsengpass bedeuten. Es ist daher zwingend notwendig, sich möglichst rasch nach Alternativen umzusehen. Kurzfristig sind das leider nur selten nachhaltige Lösungen.

Kohleabbau in Deutschland.
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So liest man, dass in Deutschland große Energieversorger sich rüsten, um „im Bedarfsfall ihre Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen als geplant. Konkret geht es um Kohlekraftwerke, die entweder schon vom Netz genommen wurden oder im Moment nur als Reserve bereitstehen.“ Damit ist auch der geplante frühzeitige Kohleausstieg Deutschlands in Gefahr.

Ebenso steht im Raum, die CO2-Bepreisung (die ohnehin als viel zu niedrig diskutiert wird) zu verschieben sowie die Mineralölsteuer zu senken oder auch kurz auszusetzen. Eine weitere kurzfristige Maßnahme, die den notwendigen Umstieg auf erneuerbare Energien weiter verlangsamen dürfte.

Heißt das, dass der Ukraine-Krieg Europa auf umweltfeindliche Energie wie Steinkohle zurückwirft und Klimaziele und „Green Deal“ gefährdet? Nicht unbedingt. Claudia Kemfert, Expertin für Energiewirtschaft, argumentiert hier sogar umgekehrt: „Der Krieg wird sich eindeutig als Beschleuniger der Energiewende auswirken. Wir werden einen enormen Booster beim Ausbau erneuerbarer Energien in allen Ländern sehen, und das in Kombination mit sehr vielen Energiesparmaßnahmen in Gebäuden und der Nutzung von Elektromobilität.“ Sie plädiert: „Der Ausbau erneuerbarer Energien muss Priorität haben und Versorgungssicherheit erste Priorität. Planungs- und Ausbauverfahren sollten beschleunigt werden mit der Begründung der Sicherstellung der Versorgungssicherheit.“ Ein gutes Argument: „Je weniger fossile Energie wir aus Russland importieren, desto weniger Geld fließt in Putins Kriegskasse.“ Was wir gegen die Energiekrise tun, kann also auch Putin als Aggressor schwächen.

Das klingt vielversprechend, vor allem die konkreten Schritte, die da benannt werden. Leider ist davon auszugehen, dass sie viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, als wir jetzt haben, um Alternativen zu finden.

Ob der Krieg tatsächlich zu einer schnelleren Energiewende führt, ist offen – zumindest auf der Tagesordnung aber steht dieses Ziel nun eher mit noch größerer Deutlichkeit und Dringlichkeit.

klimafakten.de

Krieg hat unmittelbare Auswirkungen auf das Klima und mittelbare auf den Klimaschutz.

Ganz klar, Krieg wirkt zerstörerisch – auch auf die Umwelt. Unmittelbar durch steigende Emissionen – sei es Schadstoffausstoß durch Waffen, Ressourcenverbrauch für die Waffenproduktion oder die Abholzung von Wäldern zur Rohstoffgewinnung. Indirekt durch Zerstörung von Infrastruktur oder durch Bedrohungen wie beschädigte Atomkraftwerke (man denke an Tschernobyl und das Risiko, das Kämpfe in dieser Gegend bedeuten).

Kernkraft – in Kriegszeiten besonders risikoreich.
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Krieg macht aber auch verletzlich und arm. Verletzliche Menschen und Weltregionen sind die Ersten, die auch unter den Folgen der Klimaerhitzung leiden. Umgekehrt sind Stabilität und Demokratie Grundvoraussetzungen, um Ressourcen in den Klimaschutz zu stecken. Und nicht nur tendenzielle Klimaschutz-Gegner wie Russland stehen dann auf der Bremse. Zerstörte Länder haben keine Ressourcen, um Umweltpolitik zu machen und sich auf Klimakooperationen einzulassen. Auch nicht, um langfristige Lösungen zu entwickeln – denn sie müssen zunächst ihren Bedarf decken, und zwar jetzt gleich.

„Der Krieg zerstört menschliches Leben und verursacht hohe Kosten – und bindet damit Ressourcen, die für Klimaschutzmaßnahmen und andere wichtige Reformen fehlen.“

Astrid Sahm

Umweltprobleme können aber auch zum Krisenfaktor werden und Kriege auslösen.

Dieser Zusammenhang ist nicht neu: Umweltkatastrophen wie Dürre oder Fluten können Fluchtbewegungen auslösen und zu Konflikten führen, Streit um knappe Ressourcen kann Kriege entfachen.

Christopher Bals, Politischer Geschäftsführer von Germanwatch, bezeichnet die Klimakrise daher als „Risikoverstärker“ und bringt das Beispiel des Syrienkriegs, wo eine lange Dürre Auslöser für massive Proteste gewesen sei. Klar ist: Instabile Situationen, in denen Menschen nichts zu verlieren haben, begünstigen Kriege. „Der Wechsel zu erneuerbaren Energien habe daher eine zivilisationsgeschichtliche Bedeutung.“

Zwischen Krieg und Klimaschutz gibt es also mehr Zusammenhänge, als auf den ersten Blick sichtbar sind.

Darüber hinaus haben beide globale Dimension: Beides stellt eine internationale, wenn nicht weltweite Bedrohung dar. Weil alles vernetzt ist – Güterproduktion, wirtschaftliche Interessen, politische und militärische Bündnisse – betrifft ein Konflikt mehr oder weniger alle Länder und deren Bewohner:innen direkt oder indirekt.

Beides ist äußerst politisch. Der Krieg als existenzielle und diplomatische Krise entzweit die Länder auch beim Klimaschutz. So betont Politologin Sahm: „Krieg und Klimawandel sind gleichermaßen eine Bedrohung für menschliches Leben. Auf diesen Zusammenhang gilt es hinzuweisen. Das vorhandene Wissen über langfristige Folgen muss von der Politik bereits in der Planung berücksichtigt werden, um Krieg und Klimakatastrophe in der Zukunft zu vermeiden.“

Und schließlich, auf der persönlichen Ebene: Beides verursacht bei uns Hilflosigkeitsgefühl – vielleicht aber auch den Impuls zum Handeln. Denn Krisen müssen nicht zu Handlungsunfähigkeit führen: Wenn es uns gelingt, aus der Trauer „tätige Verzweiflung“ zu machen, wie z.B. Deniz Yüzel hier argumentiert. Das heißt, „aktiv zu werden, auch wenn man selbst viele Bedenken hat, ob etwas hilft“. Neben der Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, ist Handeln auch ein Mittel, um Wut, Verzweiflung, Angst oder Mitgefühl auszudrücken. Und noch ein zweiter Begriff ist hier angebracht: „grounded hope“, wie Per Espen Stoknes [Verweis?] sie beschreibt: Hoffnung, die aus unserem Inneren, unserer Persönlichkeit kommt und nicht durch die Erwartung eines Ergebnisses angetrieben wird.

Demonstrationen als „tätige Verzweiflung“ (hier: Demonstration zum einjährigen Jubiläum von Fridays For Future Berlin, 13.12.19)
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Mögliche Lösungsstrategien sind in beiden Fällen ähnlich

Alles in allem denke ich, ein Blick auf die Strategien im Umgang mit der Klimakrise könnte auch im Ukraine-Konflikt lohnen. Wie ich darauf komme?

Wir haben es schon bei Covid-19 gesehen: In einer Krise stoßen wir schnell an ganz bestimmte Grenzen. Vor allem an die Grenzen der Versorgungssicherheit: Globalisierung und Produktionsauslagerung sind dem Westen während der ersten Lockdowns zum Verhängnis geworden. Die wichtigste Antwort darauf war (oder wäre gewesen): Zurück zur Regionalität. Das könnte uns auch hier helfen – in diesem Fall nicht so sehr in der Produktion von Gütern und Lebensmitteln, sondern vor allem in der Energieversorgung. Stichwort: Ausbau der erneuerbaren Energien.

Solidarisches Handeln, Kooperation und Vernetzung sind Grundvoraussetzungen, um dem Problem zu begegnen. Zusammen sind wir stärker, und wir können und müssen auch digitale Mittel nutzen, um zusammenzuhelfen. Dabei zählt die Summe der Einzelnen, egal, ob es sich um Grassroot-Bewegungen in der Klimakrise handelt oder um Hilfsangebote für Geflüchtete. Auf höherer (politischer) Ebene kann Kooperation langfristig für Klima wie für Frieden von Vorteil sein.

Gegen die Hilflosigkeit: Jede:r soll gemäß den eigenen Möglichkeiten handeln. Am Beginn steht die Frage: Welche Ressourcen habe ich? Was kann ich tun? Im Fall der Ukraine-Krise kann nicht jede:r selbst vor Ort helfen oder Geflüchtete aufnehmen, aber vielleicht Hilfsgüter sammeln helfen oder spenden. Im Fall der Klimakrise kann nicht jede:r politischen Einfluss nehmen, aber doch Müll trennen, Energie sparen – oder über das Thema sprechen, wie wir es hier tun.

Und wie erreiche ich damit nun Menschen, die für das Klimathema gerade nicht erreichbar sind?

Wir sehen: Argumente dafür, das Klimathema auf der Tagesordnung zu belassen, gibt es genug. Trotzdem ist verständlich, dass viele Menschen gerade mit dem Kopf ganz woanders sind. Vor allem für öffentliche Debatten über vermeintlich leere Schlagworte haben viele vermutlich gerade nicht die Nerven.

Das heißt aber nicht, dass Gespräche untereinander – von Einzelperson zu Einzelperson – sinnlos wären oder vermieden werden sollten. Was hilft dabei, dass solche Gespräche zielführend verlaufen können?

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  • Zuhören! Um zu wissen, wie, mit welcher Sprache und auf welchem Level wir jetzt überhaupt über die Klimakrise sprechen. Um Desinformation zu begegnen, einseitige Äußerungen zu hinterfragen, verlässliche Information zu streuen. Um mit der gebotenen Achtsamkeit auf Ängste zu reagieren.
  • Hoffnung statt Angst und Panik schüren. Die Präsenz großer Krisen erzeugt Unsicherheit genug. Daher gilt – noch mehr als ohnehin schon: Positive Botschaften und Ziele verbreiten und erzählen, was wir tun und erreichen können, statt Bedrohungsszenarien ins Zentrum zu stellen.
  • An den Gemeinsinn appellieren: Das Narrativ „Gemeinsam sind wir stark“ (wie schon oben erwähnt) ist zielführender und regt eher zum Handeln an als „Zurück zur Normalität“.

Eine zentrale Botschaft können wir versuchen zu transportieren: Klimaschutz ist langfristig ein wertvoller Beitrag zum Frieden, da sind sich Expert:innen einig. Lea Dohm, psychologische Psychotherapeutin und Mitbegründerin von Psychologists for Future, empfiehlt: „(…) in möglichst einfachen Worten sagen, wie es ist: Der Wechsel zu Erneuerbaren Energien ist ein zentraler Beitrag zu Frieden und Gerechtigkeit und macht uns unabhängiger von autokratischen Systemen.“ (nachzulesen hier) Zumindest langfristig sollte das unser höchstes Ziel sein.

Zum Weiterlesen

Wertvolle Anregungen zum Umgang mit Krieg und Klimakrise: https://www.klimafakten.de/meldung/qa-uebers-klima-sprechen-zeiten-des-krieges-ist-das-moeglich-und-wie-kann-es-aussehen

Was bedeutet der Ukraine-Krieg für den Klimaschutz? https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/ukraine-krieg-was-bedeutet-der-konflikt-fuer-den-klimaschutz,SyGd2bS ; https://www.watson.de/nachhaltigkeit/analyse/174783300-was-der-krieg-in-der-ukraine-fuer-den-internationalen-klimaschutz-bedeutet

https://www.stern.de/gesellschaft/ukraine-krieg–corona–klimakrise–wie-sich-das-lebensgefuehl-veraendert-31662594.html

https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/warum-im-ukraine-krieg-keiner-auf-den-weltklimarat-hoert-17851537.html

Wortmeldungen zur Ukraine-Krise und möglichen Folgen für die Energiewende: https://www.sciencemediacenter.de/en/alle-angebote/rapid-reaction/details/news/welche-folgen-koennte-die-ukraine-krise-fuer-die-energiewende-haben/

Anregungen: https://www.energiezukunft.eu/politik/nur-erneuerbare-energien-schaffen-frieden/

Und schließlich zum Faktencheck: https://www.mimikama.at/category/ukraine-krise/