Viele Menschen denken bei Klimaschutz sofort an Verzicht: Wenn wir das Klima retten wollen (was auch immer das heißen soll), dürfen wir kein Fleisch mehr essen, nicht mehr fliegen, streamen oder Auto fahren. Dieses Verzichts-Narrativ haben wir einerseits PolitikerInnen und fossilen Konzernen zu verdanken: Um von ihrer eigenen Verantwortung in der Klimakrise abzulenken, „brandeten“ sie Klimaschutz erfolgreich als individuelle Aufgabe von uns Konsument*Innen. Andererseits wurde das Narrativ auch von Umweltschutzorganisationen übernommen, deren Kampagnen sich nicht selten darum drehen, wie wir auf kleinerem Fuß leben können.

Die Verzichtsdebatte schadet der Diskussion um Klimaschutz. Kognitionswissenschaftler*innen, unter ihnen Daniel Kahnemann, Tversky, Knetsch und Thaler [1], weisen immer wieder darauf hin, dass wir Menschen generell verlustscheu sind: Es stört uns mehr, einen Dollar zu verlieren, als dass wir uns freuen, wenn wir einen Dollar gewinnen. Wenn Klimaschutz also als Verlust oder Verzicht geframed wird, ist es schwierig, Menschen für Klimaschutz zu begeistern [2].

In Österreich wurde die Verzichtsdebatte letzte Woche wieder von den populistischen Aussagen unseres Kanzlers entfacht, der gezielt Ängste in der Bevölkerung schürte, um öffentliche Unterstützung für Straßenbau-Projekte zu gewinnen. Er warnte vor Klimaschutz-Maßnahmen, die uns zurück in die Steinzeit bringen würden, und bewarb seinen Zugang zu Klimapolitik, der auf neue Technologien setze und daher ohne Verzicht auskomme.

Die Antworten auf seine Aussagen, die ja im klaren Widerspruch zu wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen, waren so vielreich, scharfsinnig, fundiert und sachkundig, dass ich dieses Mal gar keinen eigenen Artikel schreiben muss (unten befindet sich eine kleine Auswahl an Presseberichten, in denen Wissenschaflter*innen die Aussagen von Kurz inhaltlich widerlegen). Stattdessen möchte ich anhand einer der Reaktionen aufzeigen, wie wir der Verzichtsdebatte entkommen können und kommunikativ auf diese reagieren können.

Florian Aigner von der TU Wien schreibt:

„Zunächst: Tatsächlich wäre es naiv zu glauben, wir könnten das Klima retten, indem wir einfach ein bisschen verzichten. Genau wie man soziale Ungleichheit nicht mit Almosen für Bettler beseitigt, entkommen wir der Klimakrise nicht durch braven Verzicht. Es geht um Systemwechsel. Angenommen, wir würden unser System weiterlaufen lassen, aber auf ein Drittel unseres Konsums verzichten. Das wäre eine radikale Einschränkung, die unsere Lebensqualität massiv verringern würde. Es wäre die schlimmste Wirtschaftskatastrophe, die es jemals gab. 

Doch was wäre damit erreicht? Nicht viel. Wir würden dann größenordnungsmäßig ein Drittel der CO2-Emissionen einsparen. Das ist zu wenig. Wir brauchen nicht eine Reduktion auf zwei Drittel, sondern auf null. Das ist nicht durch Verzicht zu erreichen, nur durch radikale Innovation. 

Insofern ist es furchtbares politisches Framing, wenn man Klimaschützern vorwirft, die Gesellschaft zum Verzicht zu zwingen und allen etwas wegzunehmen: Nein. Das fordert niemand. Es wäre nur schmerzhaft und würde nicht einmal das Problem lösen. Wir brauchen eine umfassende Systemreform. Einen Ausstieg aus fossiler Energie, ein Ende der Verbrennungsmotoren, ein Umdenken im Bau, in der Industrie und in der Raumplanung. Daran führt kein Weg vorbei, und das ist alles möglich – mit heute verfügbarer Technologie. 

Die Frage ist: Ist das mit Verzicht verbunden? Ja, in manchen Punkten schon. Natürlich – anders kann es keinen radikalen Wandel geben. Vor 120 Jahren gab es in den Städten eine große Pferdemistkrise. Man stieg dann vom Pferd auf andere Transportmittel um – ein Systemwandel. Das war mit Verzicht verbunden. Manche Leute mögen Pferde. Und danach gab es kaum noch welche auf den Straßen. Das kann man schlecht finden. Aber die hygienischen Bedingungen in den Städten wurden radikal besser, langfristig stieg die Lebensqualität. 

Und dieselbe Chance hätten wir heute – noch. Wir könnten die Klimakrise meistern und gleichzeitig unsere Lebensqualität insgesamt steigern. Auf manche Dinge müssen wir wohl verzichten. Manchmal wird das auch schmerzhaft sein. Aber anderswo gewinnen wir dazu. 

Vielleicht werden wir in Zukunft kein eigenes Auto mehr haben. Aber dafür können die Kinder auf der Straße spielen. Und vielleicht siedeln sich wieder Nahversorger an, und ich muss nicht mehr ins Einkaufszentrum am Stadtrand. Ist das jetzt Verzicht oder Verbesserung? Beides! Gerade in den Städten zeigt sich, dass umweltfreundliches Umdenken oft kein Verzicht, sondern ein riesengroßer Gewinn an Lebensqualität ist: Etwa wenn mehr Platz für Natur und Menschen geschaffen wird, wenn Luft und Wasser sauberer werden, wenn Gemeinschaftsräume entstehen. 

Von vornherein zu sagen: „Für den Klimaschutz wollen wir auf nichts verzichten!“ ist dumm. Es verhindert effektiv jede Veränderung – auch eine, die insgesamt die Lebensqualität steigert. Angst vor Verzicht gegen die Klimakrise auszuspielen ist eine falsche Dichotomie. Die richtige Sichtweise wäre: Wir müssen die Klimakrise meistern, damit ist nicht zu verhandeln. Und wir sollten das natürlich auf eine Weise tun, die möglichst hohe Lebensqualität für alle ermöglicht. Wo das punktuell vielleicht auch Verzicht bedeutet, ist nebensächlich. Denn eines ist klar: Wenn wir nicht radikale Änderungen umsetzen, dann geht die Chance vorbei, während dieser Systemumstellung eine hohe Lebensqualität zu bewahren. Irgendwann geht es nicht mehr um punktuellen Verzicht, sondern tatsächlich um einschneidende Verschlechterungen. 

Es ist völlig paradox: Klimaschützer, denen eine Liebe zum Verzicht nachgesagt wird, zeigen eine Möglichkeit auf, den Lebensstandard zu steigern. Und die, die nicht verzichten wollen, lenken uns auf einen Weg, der langfristig zu grausamem Verzicht führen könnte. Stoppen wir das!” 

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[1] Kahneman, Daniel, Knetsch, Jack L, and Thaler, Richard H. „Experimental Tests of the Endowment Effect and the Coase Theorem.“ The Journal of Political Economy 98.6 (1990): 1325-348. 

Tversky, Amos, and Kahneman, Daniel. „Rational Choice and the Framing of Decisions.“ The Journal of Business (Chicago, Ill.) 59.4 (1986): 251-278.

[2] siehe auch Per Espen Stoknes. What we think about when we try not to think about global warming. Chelsea Green Publishing, 2015.